Müschede - Ein Wallfahrtsort

von Rüdiger G. Wisse

 

Zu den bekanntesten christlichen Wallfahrtstätten der Marienverehrung gehören Lourdes in Frank­reich und Fatima in Portugal. Auch das über den Jakobsweg zu erreichende Grab des Apostels Ja­kobus in Santiago de Compostela in Spanien ist heute in aller Munde. Weitere bedeutende Wall­fahrtsorte der Christenheit sind Jerusalem und Rom. Da mutet es schon erstaunlich an wenn man erfährt, dass auch Müschede zeitweilig für die umliegende Gegend ein wichtiger Wallfahrts­ort war. Jedoch wurde hier keine Marienehrung begangen oder bedeutende Heiligengräber be­sucht. Die Menschen erflehten die Hilfe des Heili­gen Hubertus gegen Tollwut.

 

Es wird angenommen, dass der Heilige Huber­tus schon seit dem 11. Jahrhundert Beschützer vor Tollwut und auch Schutzpatron der Jäger war. Tollwut ist eine bis heute existierende Infektions­krankheit, die sowohl Mensch als auch Tier befal­len kann. Meist wird der Mensch durch das Tier, Hund oder Fuchs, infiziert.

 

Der pensionierte Kreisveterinär des Rheinisch Bergischen Kreises, Dr. med. vet. Günther Schlie­ker, hat nicht nur große Verdienste um die Toll­wutbekämpfung, sondern auch in der wissen­schaftlichen Erforschung der Verehrung des Hl. Hubertus. Sein Buch von 2016 „Die Verehrung des Hl. Hubertus im Wandel der Jahrhunderte“ mit 700 Seiten und 4 000 Bildern gilt als das Standardwerk in der Hubertusforschung. Ausgiebig legt er darin auch den Zusammenhang zwischen Tollwut und der Hubertusverehrung dar. So schreibt er u.a.: „Die Not der Gebissenen war unendlich groß und nur so ist es zu verstehen, dass sie sich mit aller Macht an das Einzige was ihnen wirklich helfend erschien, klammerten“. Nämlich der Glaube an den Beistand des Heiligen Hubertus. In früherer Zeit sah man Tollwut als eine Art Besessenheit an und glaubte, ein böser Geist sei in den Besesse­nen gefahren. Nach altem Glauben konnte aber dieser Geist, also die Tollwut, die Berührung durch einen geweihten Gegenstand nicht vertragen und wurde durch ihn veranlasst, zu weichen.

 

Wichtigster Gegenstand zur Bekämpfung der Tollwut war der Brennschlüssel, oft auch Huber­tusschlüssel genannt. Damit wurden die tollwüti­gen Tiere gebrannt, indem der glühende Schlüs­sel auf die Bisswunden gelegt wurde. Auch an Tollwut leidende Menschen wurden vielfach ge­brannt. Erst 1828 verbot die Kirche den Gebrauch des Hubertusschlüssels am Menschen.

 

Am Hubertustag gesegnetes Salz, Brot und Was­ser sollte auch gegen Hundebisse schützen, außerdem sollten ebenso die Hunde selbst da­durch vor Tollwut geschützt werden. Jagdhunde brannte man am Hubertustag mit dem geweihten Schlüssel. Der Hubertusschlüssel wurde also gleichermaßen zur Behandlung und Vorbeugung gegen Tollwut verwendet.

 

Schriftliche Hinweise auf Müschede als Wall­fahrtsort finden wir zuerst im Ablassbrief des Erzbischofs und Kurfürsten Clemens August von Köln für die Müscheder Hubertuskapelle von 1733. Dort ist der Hinweis, dass viele Menschen von nah und fern kommen, um in dieser Kapelle den Schutz gegen tollwütige Hunde zu erbitten.

 

 

Einen weiteren Hinweis finden wir in den Beiträ­gen zur Heimatgeschichte des Kreises Arnsberg (Heft Nr. 9 – 4. Teil). In einem Beitrag „Der Sie­benjährige Krieg (1756 – 1763) im Herzogtum Westfalen“ wird auf mehreren Seiten über die Notzeiten in Neheim, Hüsten und Umgebung be­richtet. „Schon bald befiehl dann auch noch eine Tollwut das Vieh, sodass in Arnsberg mehr als 40 Kühe geschlachtet werden mussten. In ihrer Not wallfahrteten die Bauern dann nach Müschede, um ihr Vieh mit dem wundertätigen St.-Hubertus­schlüssel brennen zu lassen.“ Dabei wurde die folgende Litanei gesungen:

Vorbeter: St. Hubertus iss’nen gurren Mann Alle: hei well us helpen!

Vorbeter: St. Hubertus iss’nen hilligen Mann Alle: hei kann us helpen

Vorbeter: St. Hubertus iss’nen mächtigen Mann

Alle: hei matt us helpen

Aus der Zeit der Tollwut-Epidemie um 1796 im Arns­berger Raum sind Briefe des Geheimrats Peltzer am Kurfürstlichen Oberappellationsgericht an seine Frau in Bonn erhalten „Hier herrscht eine schreckli­che Plage“ berichtet Peltzer, „denn die Kühe werden in Mengen rasend, zwanzig sind schon totgeschos­sen worden und täglich werden neue wütend. Eine ganze Herde von 200 Kühen soll schon angesteckt worden sein.“ Um die Ausbreitung der Seuche zu verhindern, wurden alle Hunde eingesperrt.

Weiter berichtet Geheimrat Peltzer am 30. Juli 1796: „Diese Woche ist eine Prozession zu der eineinhalb Stunden von hier gelegenen Huber­tuskapelle in Müschede gestartet.“ Dort soll dann ein feierliches Hochamt gehalten worden sein. Und am 5. August heißt es: „Diese Woche war abermals eine Prozession, um Gott anzuflehen, uns vor fernerem Ungemach zu behüten.“

 

Wir haben nun drei Belege dafür, dass nach Müschede gewallfahrtet wurde. Wie lange nun wirklich Wallfahrten nach Müschede stattgefun­den haben und das Brennen praktiziert wurde ist unklar. Spätestens mit Einführung der Tollwu­timpfung durch Louis Pasteur (erste Impfung am Menschen am 6.Juli 1885) ging die Anrufung des Hl. Hubertus als Beschützer gegen Tollwut mehr und mehr zurück. Und damit verbunden war wohl endgültig das Ende von Müschede als Wallfahrtsort.

 

 

 

Männerfahne von 1975

 

 

 

 

In dem Buch von Dr. Heinrich Schauerte von 1937 „Das Sauerland - Das Brauchtum des Sauerlan­des“ ist zu lesen: „In Müschede, Kreis Arnsberg, nähen jetzt noch alte Frauen ihren Kindern zum Schutz gegen den Biss tollwütiger Hunde Huber­tusbrot in die Kleider.“ Die Weihe des Hubertus­brotes in der Patronatsmesse jeden 3. November erinnert an diese Sitte.

Ablassbrief von 1733 von Erzbischof Clemens August

 

 

 

 

In der Gestaltung der Männerfahne von 1975 der Müscheder Hubertusschützen ist das Thema Toll­wut verarbeitet. Dort sehen wir den geflochtenen Korb mit dem Hubertusbrot, den Becher für das Hubertuswasser sowie den schweren Brenn­schlüssel.

 

An der, bei dem Abbruch der alten Hubertuska­pelle 1871 verloren gegangenen Hubertusfigur, hing ein vom Rost stark angefressener Schlüssel. Da er stark rostig war, dürfe er aber schon länge­re Zeit außer Gebrauch gewesen sein.

Das Brauchtum des Sauerlandes 1937